“Die aktuelle Situation im Krieg hat meine Arbeit als Pfarrerin in der Region erheblich erschwert.”

von Sally Azar, (lutherische Pfarrerin in Jordanien und im Heiligen Land und ehemalige NEST-Studierende)

Das vergangene Jahr als erste ordinierte lutherische Pfarrerin in Jordanien und im Heiligen Land war geprägt von Höhen und Tiefen – von vielen Herausforderungen, aber auch bedeutenden Fortschritten. Die Akzeptanz durch die Gemeinden, die Unterstützung durch den Bischof und die Pfarrer, sowie die Herausforderungen in einer patriarchalen Gesellschaft haben mich in meiner Berufung gestärkt. Es bleibt eine fortlaufende Aufgabe, das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit zu fördern und den Weg für zukünftige Pfarrerinnen in der Region zu ebnen.

In einer patriarchalen Gesellschaft zu arbeiten, gestaltete sich nicht immer einfach, doch die Unterstützung der lutherischen Gemeinden, des Gender Justice Office, sowie des Bischofs und der Pfarrer, haben diesen Weg erleichtert. Die lutherischen Gemeinden in Jordanien und im Heiligen Land haben in den vergangenen Jahren intensiv an Workshops teilgenommen, die das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit geschärft haben. Das Gender Justice Office spielte dabei eine entscheidende Rolle, indem es nicht nur als Anlaufstelle für Ratsuchende diente, sondern auch Workshops und Schulungen anbot, um ein tieferes Verständnis für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu schaffen. Diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass meine Berufung als Pfarrerin von vielen Gemeindemitgliedern positiv aufgenommen wurde.

Die Unterstützung, die ich vom Bischof und den Pfarrern erfahren habe, war von unschätzbarem Wert. In verschiedenen Belangen standen sie mir bei und ermutigten mich, meine Pfarrerrolle aktiv auszufüllen. Ihre Unterstützung war nicht nur moralischer Natur, sondern erstreckte sich auch auf praktische Angelegenheiten, die das reibungslose Funktionieren in meiner pastoralen Tätigkeit ermöglichten. Trotz der Fortschritte und der Akzeptanz in den Gemeinden war es nicht immer einfach, in einer patriarchalen Gesellschaft zu arbeiten. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich mit der Vorstellung einer Pfarrerin anzufreunden. Dies spiegelt sich in manchen Gesprächen und Handlungen wider, die unbewusst sexistisch sind. Es wird deutlich, dass es noch viel Aufklärungsarbeit braucht, um die Menschen für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu sensibilisieren. Viele Gemeindemitglieder zeigen zwar Akzeptanz, sind jedoch oft unsicher im Umgang mit mir. Es besteht eine gewisse Unwissenheit darüber, wie eine Pfarrerin in liturgischen Angelegenheiten, Seelsorge und Gemeindeaktivitäten integriert werden kann. Diese Unsicherheit ist eine Chance für weitere Dialoge und Schulungen, um das Verständnis zu vertiefen und eine reibungslose Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Die aktuelle Situation im Krieg hat meine Arbeit als Pfarrerin in der Region erheblich erschwert. Die geschlossenen Checkpoints in der West Bank verhindern einen einfachen Zugang zu den Gemeinden, was die persönliche Verbindung zu den Gemeindemitgliedern und die seelsorgerliche Arbeit und die Teilnahme an wichtigen Gemeindeveranstaltungen stark beeinträchtigt. Obwohl ich in Jerusalem aufgewachsen bin und an viele Herausforderungen gewöhnt, stellt die gegenwärtige Lage eine besondere Belastung dar. Nach Jahren der Abwesenheit habe ich mich auch an viele Veränderungen in der Region gewöhnen müssen. Die Jahre, die ich nicht vor Ort war, haben dazu geführt, dass ich meine Wurzeln in der Region wiederentdecke und gleichzeitig mit den neuen Realitäten umgehe. Obwohl ich in Jerusalem aufgewachsen bin, ist es eine neue Herausforderung, sich an die Einschränkungen und Unsicherheiten anzupassen, die der Krieg mit sich bringt. Die Einschränkungen durch die geschlossenen Checkpoints haben mir eine neue Perspektive auf Freiheit vermittelt. Inmitten von Konflikten und Unsicherheit wurde mir bewusst, wie kostbar Freiheit ist und wie schnell sie genommen werden kann. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass ich die alltäglichen Anpassungen und Gewöhnungen in der Region kritisch betrachte und sich mein Engagement für Gerechtigkeit und Frieden verstärkt.

Als Pfarrerin in einer von Konflikten geprägten Region stehe ich vor einzigartigen Herausforderungen, die sich durch die aktuelle Kriegssituation manifestieren. Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt meine Verpflichtung gegenüber den Gemeinden und meinem Glauben stark. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben meine Perspektive erweitert und meine Überzeugung gestärkt, dass der Dienst als Pfarrerin in Zeiten des Krieges eine besondere Verantwortung für den Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Hoffnung mit sich bringt.

Ich wünsche mir gerade die Hoffnung, die Gerechtigkeit und den Frieden, die Jesus mit sich gebracht hat, in diesem Land hier, zu sehen.