„Nichts kann uns trennen“ – Predigt auf dem Kirchentag

Foto copyright: Isabel Barragan-Metzger

„Nichts kann uns trennen“
Abschlussgottesdienst des DEKT, 4. Mai 2025
Predigt Hanna Reichel (Vereinsmitglied Freunde der NEST)

(1a)
„Nichts kann uns trennen“ – wow, ich kann das richtig sehen! Schulter an Schulter steht ihr, hier, auf dem Platz der Menschenrechte. Und fuenf Tagen haben wir das erlebt: gemeinsam nachgedacht, gelacht, gebetet. „Nichts kann uns trennen!“ Nach fuenf Tagen Kirchentag glaube ich uns das.
Aber darf ich euch mal was sagen? Ich bin dann trotzdem froh, wenn ich heut abend wieder mein eigenes Bett habe, und wenn ich auch eine Tuer hinter mir zumachen kann. So gern ich euch alle auch habe, andere Menschen sind schon auch ganz schoen anstrengend.
Je naeher wir uns sind, desto leichter gehen wir uns auf die Nerven. Dass du immer den Klodeckel offen laesst. Dass du ueber Sachen lachst, die ich gar nicht witzig finde. Dass ich dir schon wieder eine Predigt halte.
Ein bisschen Distanz ist gesund. Du laesst mich sein, wie ich bin. Ich lass dich sein, wie du bist.
„Nichts kann uns trennen?“ Bei manchen Menschen waere das ehrlich gesagt eine ganz schoene Zumutung. „Nichts kann uns trennen!“ Das kann total uebergriffig sein! So nach dem Motto: „Das muss die Liebe aushalten…“ Viel zu oft haben das auch Christenmenschen und Kirchen gesagt. Wenn du auf ein Problem hinweist, wirst du als Problem behandelt. Das hat mit Liebe nichts zu tun.
„Nichts kann uns trennen?!“ Uns trennen Graeben!–auch gesellschaftlich. Ueber die koennen wir nicht einfach Liebe drueberbuegeln. So nach dem Motto: „Du musst das halt aushalten, dass ich ein faschistischer Kotzbrocken bin…“ Gute Miene zum bösen Spiel ist kein Frieden. Mit Kompromisslerei und Wegducken gibts keine Versöhnung.


(1b)
„Nichts kann uns trennen? – Von der Liebe Gottes!“ Das ist die Liebe, die verbindet.
Gottes Liebe traegt. So sicher wie der Boden, auf dem wir hier gemeinsam stehen. So sicher, wie der Boden, auf dem du in den letzten Tagen mit Deiner Isomatte geschlafen hast. So sicher wie der Boden an den verschiedenen Orten, zu denen wir heute wieder aufbrechen.
Und Gottes Liebe zeigt uns, was Liebe ist. Wenn mein Gesicht steinhart wird, p-p-Pustet Gottes Liebe mich an, bis ich blinzle. Gottes Liebe sucht bis in den letzten Winkel nach denen, fuer die wir keine Zeit haben. Und wo wir uns einmauern, guckt Gottes Liebe drueber und sagt: Ich lass dich aber nicht allein.


(2a)
Gottes Liebe verbindet uns – und das heisst auch, Gott steht dazwischen.
Ohne Gott bin ich dir schutzlos ausgeliefert.
Gottes Liebe ist der Puffer zwischen dir und mir: damit ich atmen kann. Gottes Liebe ist der Schutzraum zwischen mir und dir: damit ich dich nicht erdruecke.
Gottes Liebe geht dazwischen und sagt: Stopp. Hier nicht weiter. Das ist mein geliebtes Kind.
Und so macht Gottes Liebe mich mutig. Mutig, Grenzen zu ziehen gegen die Uebergriffigkeit falscher Liebeserklaerungen. Mutig, „nein“ zu sagen, zu sagen:
Das ist keine Liebe, das ist emotionale Erpressung.
Das ist keine Liebe. Das ist Ausbeutung.
Das ist keine Liebe. Das ist Gewalt.
Fass mich nicht an.


(2b)
Der amerikanische Vice-Praesident JD Vance hat neulich ueber die „Ordnung der Liebe“ geredet: dass man eben „natuerlich“ zuerst seine Familie liebt, und dann sein Volk, und dann—vielleicht, wenn noch Liebe uebrig ist!—andere Menschen.
Da hat der Papst—Gott hab ihn selig—noch aus dem Krankenhaus gelacht und gesagt, mein lieber JD, du hast da was nicht richtig verstanden.
Gottes Liebe macht nicht an deinem Gartenzaun halt. Gottes Liebe ist weiter als dein social network und deine tea party, und ganz bestimmt groesser als dein erbaermlicher kleiner Rassismus.
Die Angst macht die Liebe so klein und eng, bis sie von Ausgrenzung und Feindschaft nicht mehr zu unterscheiden ist. Aber Gottes Liebe macht uns stark gegen die Angst. Gottes Liebe sagt, „Fuerchtet euch nicht!“—Und macht den Horizont so weit auf.
Gottes Liebe ist kein Heimatverein und kein „Platz an der Sonne.“ „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ Das heisst nicht: Gott gehoert uns (ganz allein!). Das heisst: Wir gehoeren zu Gott.
Die ganze Welt gehoert Gott. Und Gottes Liebe gilt eben auch den „anderen,“ und wenn sie noch so nervig sind.
Wovor wir uns fuerchten sollten, ist, mit unserer kleinkarierten Liebe Politik zu machen. Unsere kleinkarierte Liebe baut Mauern, zieht Graeben, und teilt die Welt in Freund und Feind ein.
Aber nichts von all dem, was wir so trennend und bedrohlich machen, kann uns trennen von der Liebe Gottes, schreibt Paulus. Nichts. Nicht Hohes und nicht Tiefes, nicht Maechte und Gewalten. Nichts! was im Himmel oder auf der Erde ist—all das, sagt Paulus, hat doch Gott gemacht.
Das ist doch Gottes Welt.
Das seid doch nur ihr.
Wenn ihr das erst mal checkt, wovor braucht ihr euch denn dann noch zu fuerchten?


(2c)
Gottes Liebe macht uns mutig und sie macht uns stark und sie macht uns beherzt, die Zumutung der Anderen zu ertragen.
Denn es ist ja eine Zumutung: Ich muss es mit dir aushalten, auch wenn ich dich total kleinkariert finde. Und du musst es mit mir aushalten, auch wenn du gar nicht weisst, wie du mich einordnen sollst. Aber woher sollst du auch wissen, wer ich bin? Und woher soll ich wissen, ob du mich fuer einen Freak haelst? Wenn mein Leben nicht in deine Sprache passt, wie machen wir das dann mit der „Liebe“?
Es ist eine echte Zumutung: Wir muessen zusammen arbeiten, weil unser Planet umkippt. Warum sollst du dein Tempo begrenzen, liebe Julia, warum soll ich weniger Fleisch essen, wenn Milliardaere zum Mars fliegen? Ich wuerde gern meine Ruhe haben vor deinem Moralismus. Aber wenn wir zusammen draufgehen, ist das dann „Versoehnung“?
Es ist eine echte Zumutung: Da sind Menschen, die Gewalt und Verfolgung entkommen sind. Ich wuerde lieber in einer Welt leben, in der ich keine Angst haben muss vor meinem Nachbarn. Diese Nachbarn aber auch. Darum sind sie doch zu uns gekommen. Wenn manche mehr Recht haben als andere auf „heile Welt,“ wie wird dann „Frieden“?
Ich brauche dich, damit wir leben koennen. Das ist die Zumutung. Die Zumutung, die wir anderen Menschen am wenigsten verzeihen koennen: dass sie auf Leben und Tod wirklich auf uns angewiesen sind. Wie ueberaus nervig: Ich muesste mein Leben aendern.
Gott macht das, fuer uns.
Wir sehen das in Jesus.
Wir sehen das ueberall, wo der Geist weht.
Und Gott sagt: Du darfst das auch. Fass dir ein Herz.
Sei so beherzt wie Yitzhak Frankenthal vom „Parents‘ Circle.“ Das ist eine Organisation von Eltern, die Kinder an die Gewalt zwischen Israelis und Palaestinensern verloren haben. Yitzhak Frankenthal vom „Parents‘ Circle“ sagt: „Wir muessen zusammen leben und wir muessen uns entscheiden: entweder wir teilen uns dieses Land, oder wir teilen uns den Friedhof darunter.“
Was fuer ein Herz! Goettlich: Der Vater, der selbst ein Kind verloren hat, haelt eben darum daran fest, dem Tod kein bisschen Macht mehr zu geben. Nicht in seinem Leben, und nicht im Leben der anderen.
Wo unser Herz eng wird, macht Gott sein Herz so weit auf, dass kein Platz mehr ist fuer Trennung und Feindschaft und Tod.
Das muss man erst mal aushalten.


(3)
Gottes Liebe ist nichts fuer schwache Nerven. Aber Gottes Liebe macht es uns leicht.
„Nichts kann dich trennen von der Liebe Gottes.“ Darum bin ich stark genug, dich zu ertragen, bist du stark genug, mir Grenzen zu setzen.
„Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes.“ Darum sind wir ganz beherzt: aus einem Haufen kleinkarierter Nervensaegen wird die Gemeinschaft der Heiligen.
„Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ – diesen Mut tragen wir vom Platz der Menschenrechte in Gottes ganze, weite Welt.
Amen! Das ist: es werde wahr.